Rostkehlchenfliege        
   

Die Rostkehlchen - eine kulturpolitische Mission...

Die Rostkehlchen singen seit 1994. Am Rande eines gemeinsamen Schwatz- und Gesangsabends unterm Sternenhimmel an der Ostsee stellten vier einander bereits bekannte Herren fest, dass sie die Vorliebe für Musik von Georg Kreisler und den Comedian Harmonists teilen und wohlgelittene Stimmverteilung (zweimal Bass, zweimal Tenor) für gemeinsamen Quartettgesang sicherstellen könnten. Und so tauchte ein neues Sternchen am Gesangshimmel auf! Einmal wöchentlich wurde in Privatgelassen geprobt, danach gab mensch sich dem gemeinsamen Biergenusse hin. Gesungen wurde, was greifbar war und den qualitativen Ansprüchen genügte. Die da waren: halbwegs ansprechender Klang, und Texte, die dem Einschlafen des gebeutelten Publikums entgegenzuwirken geeignet sind.

   
     

Mehr zufällig dann unser erster „Auftritt“. Beim besagten probeamtlichen abschließenden Spelunkengang in der Friedrichshainer „Tagung“ sangen wir leise und angezwitschert vor uns hin, ohne zu bemerken, dass die Kneipenbeschallung zwischenzeitlich abgedreht worden war. Wir wurden aufgefordert, doch lautstärkemäßig einen Zahn zuzulegen. Dieser Abend war nicht mit weiteren finanziellen Aufwendungen für Getränke verbunden. Von der „Tagung“ aus eroberten wir die Bühnen der Welt. Wir erfreuten (?) die Ohren der Menschen aus Ost und West und Nord und Süd in der Heilig-Kreuz-Kirche (Berlin-Kreuzberg), U-Bahnhof Alexanderplatz (Berlin), in diversen Kantinen, Restaurationen und Abfüllstuben auf unserem Kontinent, in der Fabrik Osloer Straße, der Kirche am Loeperplatz, im Parkdeck Saarbrücker Straße (Berlin-Prenzlauer Berg), in Perugia (Mittelitalien), im Hotel Hilton Berlin, in der Werkstatt der Kulturen (Berlin-Kreuzberg). Höhepunkt unserer großen Tourneen ist und bleibt aber immer wieder ein Auftritt im Stadtmuseum Wittenberge (Nordwestbrandenburg), mit dessen Wirken wir uns als geschichtsbewusstes Traditionsensemble eng verbunden fühlen.

Wie jede Band, die etwas auf sich hält, haben auch wir im langen Laufe der Jahre personelle Umbesetzungen vornehmen müssen. Eins der verdienstvollen Gründungsmitglieder hat es nicht unterlassen können, harte Töne und knallige Schlagrhythmen unserer sensiblen Kunst vorzuziehen - er ist jetzt Hardrocker. Damit hat er nach einhelliger Ansicht unserer Vollversammlung ein schlechtes Geschäft gemacht. Wir gedenken seiner dennoch in liebevoller Weise. Aber was soll´s! Der herbe Verlust wurde aufgewogen durch den Gewinn zweier trinklustiger Sangesbrüder auf den extremen Außenflanken der Bass- bzw. Tenorriege. Nun hallt es quintettig-knallig aus unserer Runde. Inzwischen sind wir auch etwas anspruchsvoller uns selbst gegenüber geworden. Von den „Gründungschorälen“ ziert keiner mehr unser Repertoire. In der einen oder anderen Weise werden nun selbst der Griffel und das Notenpapier in die Hand genommen, obgleich wir uns noch immer aus jeder historischen Epoche das Notenstückchen klauen, was uns als das (oft nahezu unentdeckt) Meisterliche gilt.

Eine besondere Episode, die nicht enden will: das a cappella-Punk-Projekt. Bei unserer Arbeit gerieten wir in engeren Kontakt mit der Punkband „Feeling B“ und ihrem Sänger Aljoscha Rompe. Gemeinsame Studioaufnahmen folgten. Nunmehr seit zwei Jahren arbeiten wir an einer CD, auf der wir mehr oder weniger bekannte Lieder dieser Combo ohne Zuhilfenahme schweren Eisens in fünf Stimmen intonieren. Zwischenzeitlich hat sich „Feeling B“ aufgelöst, Aljoscha wird das Ergebnis nicht mehr hören können, er ist überraschend für alle im November 2000 gestorben. Dass die Aufnahmen inzwischen sogar abgeschlossen sind, hilft uns noch nicht wirklich weiter. Alles, alles kostet Geld. Viel Geld. Unsere Klassenkasse ist infolge der neoliberalen Krisen sehr leer. Aber die Studios mischen nicht mehr wie im Kommunismus alles für lau ab, selbst Tonmeister orientieren sich am Regime des shareholder value und fordern unverschämte Renditen, bevor sie auch nur einen Regler in Bewegung setzen. Manche mögen darüber jetzt bitterlich weinen (Spenden bitte an das unten angegebene Konto)! Aber unser Optimismus wird nur durch die Angst getrübt, dass uns reiche und unbarmherzige Menschen vorgreifen, flugs selbst eine a cappella-Punk-Produktion unternehmen und sodann den gesamten ausschließlich uns gebührenden Ruhm ungerechtfertigterweise für sich einheimsen.

Dass uns bisher zuwenig Menschen wirklich kennen, liegt gewiss daran, dass wir unverschämt günstige, im Prinzip schon rufschädigende Preise nehmen. „Preiswert“ wird im Kapitalismus zu unserem Leidwesen immer noch mit „minderwertig“ assoziiert. Unsere kulturpolitische Mission zur Änderung dieses Umstandes ist noch längst nicht erfüllt. Wir wollen aber jede und jeden auffordern, sich in diesem Sinne einzubringen und mit uns zu solidarisieren. Wir sagen: wenn die letzte Hymne verklungen, der letzte Choral von Werbung unterbrochen, das letzte Sonett in der Kehle verreckt ist, werdet ihr merken, das mensch Musik nicht bezahlen kann.

Und schon gar nicht unsere...